Bergkameradschaft Für Marcel

Als meine Tochter mir letztes Jahr bei der Vorbereitung unserer Indonesienreise die Frage stellte: "Hand auf's Herz, machst Du mit bei einem Vulkantrekking ?" habe ich in keiner Weise geahnt, auf was ich mich einließ. Meine Antwort war daher:"Klingt verrückt genug, um da mitzumachen, mach' mal!". Regina bucht wie ein Profi, daher habe ich mir bis zum 14. August 2015 auch keine weiteren Gedanken über die Sache gemacht. Auch als wir auf Lombok ankamen und im "Hotel Rinjani" übernachteten, ahnte ich noch nichts von Unbill. Am Folgetag ging es dann zur Sache. Zuerst fuhren wir mit einem Jeep bis zum Sammelplatz am Basiscamp auf 1300 m Höhe.

"Wir", das waren ca. 10 Leute , überwiegend eine Clique aus jungen Franzosen, die unter sich blieben und einige sehr international sehr gemischte Einzelpersonen. Am Basiscamp trafen wird dann den uns zugeteilten Bergführer und andere Mitglieder der Tour an und setzten uns in Marsch. Es war an diesem Tag noch sehr heiß.
Schon die ersten Meter waren relativ steil, steinig und schweißtreibend. Der Mt. Rinjani gehört zu den aktiven Vulkanen am Sundabogen und ist insgesamt 3726 m hoch. Klang nicht so schlimm, wenn man überlegte, daß wir schon am Basiscamp 1300 m über Normal Null waren. Die 2400 m Höhenunterschied müßten doch zu schaffen sein, andere haben das auch bewältigt.
Von unten sah die ganze Sache ja gar nicht mal so steil aus.
Es gab einen schmalen Weg, der gleichzeitig als Hin- und Rückweg benutzt wurde. Daher mußte man wiederholt innehalten, um die Leute, die vom Berg wieder abstiegen, vorbei zu lassen, vor allem auch die Lastenträger, die für einen vergleichsweise minimalen Lohn unglaubliche Lasten auf den Berg und wieder herunter tragen. Ich habe diese Leute nur bewundert. Es waren teilweise Männer, die älter waren, als ich, in Flip-Flops und einer Wahnsinnsgeschwindigkeit, trotz ihrer Lasten. Unseren Rucksack mit der Kameraausrüstung trug Regina, worüber ich heilfroh war, denn ich war mit mir selbst beschäftigt. Luft zu bekommen, ist schon was Elementares.
Einer der jüngeren Träger...
Teilweise mußte man sich den Weg aber auch erst bahnen......
Nach den ersten, sehr steinigen und steilen Anteilen ging es mäßig, aber stetig bergauf. Irgendwie hatte man immer das Gefühl, doch ein gutes Stück des Weges geschafft zu haben, aber wenn man dann aufsah und den ganzen Berg vor sich hatte, relativierte sich die eigene Rolle in der Sache zu Ameisengröße, die gerade mal ein paar Meter zurückgelegt hatte. Es sah unheimlich weit aus und war es auch. Auf manchen Strecken war die Steigung auch gut erträglich und nachdem ich mich eingelaufen hatte, machte mir die Sache auch viel Spaß und ich fühlte mich wohl. Dabei entstanden auch einige Bilder. Als wir die Baumgrenze und die Wolkengrenze erreicht hatten, war der Ausblick auf die umgebenden Berge atemberaubend schön.
Der Durchgangsverkehr in beide Richtungen war aber ständig sehr rege und wenn man das Camp 2 auf ca. 2500 m, auf dem wir in einem Blockhaus übernachten sollten, noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte, mußte man sich ranhalten. Unsere Gruppe war mitsamt dem Bergführer längst wesentlich weiter und hatte uns abgehängt. Die hatten keine Lust, auf so einen Dinosaurier wie mich zu warten. Wir trafen sie noch mal auf einer Zwischenstation, aber das war's dann auch.
Da die Hitze aufgrund der Höhe nicht mehr so drückend war, war das Laufen auch recht angenehm geworden, allerdings machten sich die zunehmende Höhe und eine gewisse Kurzatmigkeit bemerkbar. Das macht man doch nicht alle Tage. Trotzdem war ich stolz auf mich.
Am späteren Nachmittag trafen wir eine Gruppe junger Asiaten, die sich rührend, aber recht erfolglos um eine junge Frau kümmerten, die aufgrund der Anstrengung einen schweren Migräneanfall hatte. Ihr ging es ziemlich schlecht. Da Regina und ich immer unsere Reiseapotheke für Notfälle gut bestückt haben, hatten wir entsprechende Medikamente gegen Übelkeit und Schmerzen mit und konnten der jungen Frau also helfen. Das "hielt uns auf", weil es fast anderthalb Stunden dauerte, bis es vertreten werden konnte, sie weiterlaufen zu lassen. Die Jungs aus der Gruppe waren zwar alle sehr lieb, aber völlig unerfahren. Wir gaben ihr daher noch einen Teil unserer Reserve für eventuellen Bedarf mit, inklusive der Instruktionen und liefen dann weiter. Die Gruppe entschied sich für den Abstieg. Inzwischen war es ca. 17 Uhr. Es fing an, zu dämmern. Gleichzeitig war unser Ziel, das Camp 2, aber noch ziemlich weit entfernt. Die Angaben der Leute, die wir nach der Entfernung fragten, differerierten erheblich und die meisten wußten gar nichts davon. Die Strecke wurde auch immer steiler, der Weg enger und steiniger. Teilweise kam man nur im "Allradantrieb" auf allen Vieren weiter. Es war mir auch egal, wie das aussah, wenn ich beim Aufstieg Bäume umarmte, um Halt zu finden. Damit hatten wir nicht gerechnet und das hatte uns vorher auch niemand gesagt. Dann wäre ich nie im Leben da hoch gegangen. Hilfeeee, auf was hatte ich mich da nur eingelassen?
Die weitere Strecke wäre ich im Hellen nie gegangen! Es gab aber nur eine Möglichkeit: nach oben. Stehen bleiben ging nicht und zunächst sah es aus, als wäre der Weg zum Camp 2 deutlich kürzer als der bereits zurückgelegte. Abstieg abends oder gar nachts wäre nicht vertretbar und zu gefährlich gewesen. Außerdem waren wir zu dieser Zeit schon fast 14 Stunden unterwegs. Ein Plateau oder eine andere Raststation zwischendurch war auch erstmal nicht in Sicht. Allmählich ließen meine Kräfte auch merklich nach. Angst hatte ich merkwürdigerweise zu keinem Zeitpunkt. So verrückt das klingen mag, mir war eher nach Streik zumute. Keinen Meter weiter! Das hätte mir aber auch nichts genützt. Also weiter.
Ein Bild geht immer und baut auch schön auf.
Schließlich erreichten wir doch noch ein kleines Plateau, ähnlich wie das oben auf dem Bild (zu dieser Zeit war es schon zu dunkel für Bilder, Blitz hatte ich nicht mit und war auch zu k.o). Regina spricht inzwischen recht gut Bahasa Indonesia, denn Englisch wird von den Einheimischen dort kaum verstanden und um diese Zeit waren auch keine Touristen mehr in der Nähe. Die Träger erklärten uns, daß wir beim besten Willen nicht bleiben könnten, die Zelte seien schon total voll. Wir sollten aber noch "ein Stück" (ich hätte in dem Moment viel für Präzision gegeben), weiter laufen, da würden wir ein etwas größeres Zwischencamp finden, bei dem wir noch mal fragen könnten. Auf dem Weg dorthin war es dann völlig dunkel geworden. Einer der Träger vor uns hatte eine Taschenlampe, immerhin etwas. Mehr rutschend, als kletternd, gelangten wir schließlich zu dem Zwischencamp. Ich war "platt" und zu kaum noch etwas brauchbar. Wenn man von der ersten Hilfe und den Atempausen absah, war es mindestens neun Stunden reine Laufzeit gewesen.
Auf dem Zwischencamp fand sich ein Metallpodest, etwa wie eine nach allen Seiten offene Hütte mit einem Blechdach. Die Träger gaben uns aus ihren Beständen je einen Schlafsack und pro Mann und Maus eine Banane (habe nie eine bessere gegessen) und ein paar Kekse. Eigentlich sollten wir ja von der Gruppe verproviantiert werden, was ja gebucht worden war. Wo die waren, wußte aber zu der Zeit niemand. Die Träger sagten uns aber auch, daß wir auf dem Podest übernachten müßten. Die Zelte seien voll. Die Aussicht war nicht sonderlich erbaulich, denn es war recht "frisch" und vor allem windig bis stürmisch geworden. Auf dem eiskalten Metall zu schlafen, war keine allzu erquickende Aussicht. Die Träger verzogen sich in ihr Zelt und wir hörten sie reden. Wir machten es uns, so gut das ging, auf dem Podest "gemütlich". Nach einigen Minuten kam einer der Träger heraus, und meinte auf indonesisch, wenn es uns nichts ausmachte, bei ihnen zu übernachten, seien wir willkommen. (Es handelte sich um ein recht großes Zelt für ca. 12 Personen, aber relativ flach.) Sie hätten beraten und beschlossen, daß wir nicht die Nacht im Freien verbringen sollten. Wir gingen also in das Zelt und machten es uns zwischen ihnen gemütlich. Die Männer redeten und lachten noch eine Weile und wir schliefen, eng aneinandergekuschelt in unseren geliehenen Schlafsäcken mit dem Kopf auf je einem Rucksack ein. Die Nacht war kurz und sehr stürmisch, viel Schlaf bekamen wir nicht. Die Träger mußten noch vor der Dämmerung weiter, damit sie die Lasten, die bezahlt waren, rechtzeitig ablieferten. Sie gaben uns liebenswürdig noch eine Packung Cracker, die seitdem bei uns "Bergsteigerkekse" genannt werden und wir konnten vom Camp aus einen der wunderbarsten Sonnenaufgänge bewundern, die ich je gesehen habe.
"Refugees camp" auf dem Mt. Rinjani. Charakteristisch: Regina mit ihrer Prag-Mütze!
In diesem Moment, bei Menschen, die ich vorher noch nie gesehen habe und auch später nicht mehr sehen werde, habe ich erstmals verstanden, was der Begriff "Bergkameradschaft" bedeutet.
Regina und ich sahen uns aber nur an und waren uns einig, nicht weiter nach oben zu gehen. Auf dieses Erlebnis wollten wir keine weiteren Eindrücke packen und außerdem wußten wir übereinstimmend, daß wir nach diesem Abenteuer unsere nächste Tour besser vorbereitet und mit einer anderen Gruppe oder alleine antreten würden, um im eigenen Tempo laufen zu können. Wir traten also den Rückweg an, der insgesamt 13 Stunden in Anspruch nahm. Wir nahmen uns aber viel Zeit, um die traumhafte Landschaft zu genießen und waren unglaublich erleichtert, als wir wieder am Basiscamp ankamen. Als ich am Tag sah, wo ich am Vorabend hochgeklettert war und WIE steil das wirklich war, wurde mir ganz mulmig und ich dachte, gut, daß es beim Aufstieg dunkel war. Bei Tageslicht wäre ich da nie hochgelaufen. Ich hätte gescheut wie ein Muli. War ich denn des Wahnsinns? Das sah von unten und von weitem noch alles relativ harmlos und verhältnismäßig flach aus, aber die Tücke lag im Detail. Immerhin waren wir bis auf 2300 m Höhe gekommen. Wie hoch das wirklich war, merkte man nur vom Berg aus. Auf den Bildern sieht man ja die Weite des Landes und die angrenzenden Berge.
Das sieht sooo harmlos aus....
Das letzte Stück wurden wir von einem Motorroller abgeholt, weil sich das bis zum Basiscamp doch noch einige Kilometer zog und die Teams schon die Erfahrung gemacht hatten, daß die Leute, die runterkommen, total erschöpft sind.
Unten angekommen, waren wir vom Vulkanstaub so dreckig, wie Schornsteinfeger und so durstig, wie nach einer Saharadurchquerung, aber das Erlebnis und die Erfahrung waren einmalig. Die Träger vom Basiscamp zogen uns auf, weil wir nicht auch den zweiten Abschnitt gelaufen waren, aber der gutmütige Spott war uns egal.
Ich habe seitdem oft überlegt, ob ich die Tour noch einmal machen würde und die Antwort, war jeweils ein uneingeschränktes Ja! In dem Moment, als ich beim Abfassen des Artikels einem indonesischen Freund auf Facebook mitteilte, daß ich dabei bin, die Story unseres Abenteuers zu schreiben, schickte er mir per mail die Bilder eines anderen Vulkans mit den Worten: "Are you ready?"

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