Ausbruch aus Wolkenkuckucksheim Gedanken über die Rolle der Phantastik in der Gesellschaft
Dr. Frank Weinreich, fw@textarbeiten.com
Wieso sind die Autorinnen und Autoren phantastischer Stoffe eigentlich nicht in der Diskussion gesellschaftlicher Probleme präsent?
Phantasten sind die Experten für Katastrophen, die Spezialistinnen des Andersdenkens. Sie erfinden Weltenkriege und leuchten menschliche Dramen bis ins Übernatürliche hinein aus.
Wer so etwas kann, und packende Geschichten davon erzählt, der vermag auch Wichtiges zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen, denn er hat sich mit allen Abgründen und Höhepunkten des Menschlichen auseinandergesetzt.
Die Phantastik ist nicht phantastisch:
“Realismus ist vielleicht die am wenigsten angemessene Form, um die unglaublichen Umstände unserer realen Existenz zu porträtieren. Ein Wissenschaftler, der in seinem Labor ein Monster erschafft, ein Bibliothekar in der Bibliothek von Babel, ein Zauberer, der beim Sprechen eines Zauberspruches versagt, ein Raumschiff, das auf seinem Weg nach Alpha Centauri verschollen geht – all diese Dinge sind präzise und fundamentale Metaphern für die menschliche Existenzweise. Der phantastische Erzähler, ob er nun Archetypen aus den Mythen oder die jüngeren Archetypen aus Wissenschaft und Technik zitiert, spricht nicht weniger ernsthaft als jeder Soziologe –und manchmal sehr viel deutlicher. Phantastische Literatur dreht sich um das menschliche Leben; darum wie es gelebt wird, wie es gelebt werden könnte, wie es gelebt werden sollte.“ (Ursula K. Le Guin: The Language of the Night, S. 58)
Ach, Sie bezweifeln die Qualität? Okay, dann bezweifeln Sie die bitte auch in der realistischen Literatur: Schund gibt es überall.
Wie etwas erzählt wird, muss man immer einzeln beurteilen, aber was in der Phantastik erzählt wird, kann man nicht pauschal abtun.
Fragen wir doch mal einen Phantasten, der hat schließlich den Kontakt zum Publikum:
Stimmt. Science Fiction arbeitet mit Spekulationen, und wenn die gut angestellt sind, dann können sie verdammt überzeugend sein. Die Fantasy stellt das Individuum stärker in den Mittelpunkt und knallt ihm existenzielle Probleme vor den Latz, die mit dem Tod des Protagonisten unter Umständen noch nicht enden, und so stark die Emotionen ansprechen. Und der Horror spielt mit den Ängsten seines Publikums und verlässt damit die phantastischen Welten sowieso schon und begibt sich auf unsere Seite des Vorhangs.
Okay, das alles muss sie nicht. Kann sie aber. Tut sie auch.
Kürzestfassung eines Vortrags, den ich beim Ersten Branchentreffen des Phantastik-Autoren-Netzerwks, Köln 2016, gehalten habe (#1stPANBT)
Die Langfassung veröffentliche ich später im Jahr auf einer neuen Plattform, die gerade noch in Arbeit ist.
Vielen Dank fürs Reinschauen! Frank Weinreich, www.polyoinos.de