Mühlviertler Hasenjagd "Was hätten wir denn anderes machen können, als diesen beiden zu helfen?"

Am 2. Februar 1945 in der Nacht, brachen aus dem Block 20 des KZ Mauthausen rund 600 sowjetische Offiziere aus.

Sie waren von der SS zum Verhungern beziehungsweise Erschießen bestimmt worden. Es war eine kalte Winternacht, der Schnee lag ca. 30 Zentimeter hoch, als sie die Wachen auf den Türmen mit Feuerlöschern außer Gefecht setzten und den elektrisch geladenen Lagerzaun mit nassen Decken überwanden. Eine unglaubliche Hatz auf die entflohenen Häftlinge begann. Die SS gab bekannt, dass 600 Schwerverbrecher ausgebrochen seien und forderte die Bevölkerung zur Ergreifung und Tötung auf. Volkssturm, Hitlerjugend und Private beteiligten sich an dieser „Jagd“. Letztendlich überlebten nur ca. 6 Häftlinge mit Hilfe von christlichen örtlichen Bauern diese mörderische Treibjagd.

Zivilcourage der Familie Langthaler

Fam. Langthaler, Anna Hackl (stehend) 1945

Nur wenige ZivilistInnen halfen den bereits sehr geschwächten, abgemagerten, frierenden und hungernden Menschen, indem sie diese beispielsweise „übersahen“, Töpfe mit Kartoffeln in den Hof stellten oder Kleidung trotz winterlichster Temperaturen draußen „trocknen ließen“.

Hof der Fam. Langthaler in den 1940er Jahren

Die Hilfe der Familie Langthaler ging jedoch weit darüber hinaus. Als die älteste Tochter Miazl am Morgen nach dem Ausbruch der Häftlinge von der Kirche nach Hause ging, bot sich ihr ein grauenhafter Anblick blutüberströmter, toter Menschen auf einem Lastwagen, und die ganze Straße war voller Blut. Entsetzt berichtete sie ihrer Mutter davon, die daraufhin sagte: „Wenn zu uns einer kommt – wir helfen!“

Maria Langthaler war eine besondere Frau. Sie besaß eine bewundernswerte Portion zivilen Mutes, die einerseits auf ihrem tiefen Glauben und andererseits auf reiner Menschlichkeit beruhte. Bereits seit Beginn des Nazi-Regimes verweigerte sie den Hitlergruß, in ihrem Haus hing weder jemals ein Hitler-Bild noch wurde die Hakenkreuzfahne aus dem Fenster des Hauses gehängt. Sie versprach, jeden Tag in die Kirche zu gehen, damit ihre Söhne heil aus dem Krieg nach Hause kommen würden. Keines ihrer Kinder wollte sie für Adolf Hitler opfern.

Die entflohenen Kriegsgefangenen Michail Rjabtschinskij und Nikolai Zemkalo fanden am zweiten Tag nach der Flucht den Weg zum Hof der Familie Langthaler, und Maria nahm sie sofort auf. Ihr Mann Johann gab zu bedenken, dass sie damit die ganze Familie in Gefahr brachten, falls sie entdeckt oder verraten würden. Trotzdem gewährten sie den beiden Unterschlupf auf ihrem Heuboden.

Als das Ehepaar Langthaler am nächsten Tag mit ihrer jüngsten Tochter Anna auf dem Weg zur Kirche war, begegneten sie einem SS-Suchtrupp mit Hunden, der jedes Haus durchsuchte. In Angst und Schrecken versetzt, lief Anna sofort zurück zum Hof, um ihre Schwester Miazl und die zwei Versteckten zu warnen. Dies gelang gerade noch rechtzeitig. Kaum waren Michail und Nikolai unter dem Heu versteckt und das von ihnen verwendete Geschirr wieder in der Küche, erreichten die SS-Männer den Hof der Familie Langthaler und durchsuchten alles. Dass deren Hunde die beiden im Heu Versteckten nicht fanden, war wie ein Wunder – die Familie Langthaler sagte sich später, es hätte eben so sein sollen, dass wenigstens ein paar der Geflüchteten mit dem Leben davonkamen. Danach brachten sie Michail und Nikolai auf dem Dachboden ihres Hauses unter, was Ausflüchte gegenüber der SS im Falle, dass die beiden entdeckt wurden, schier unmöglich machte.

ANNA HACKL

Anna Hackl, die jüngste Tochter der Familie Langthaler, war damals 14 Jahre alt, und diese Ereignisse prägten sie für ihr weiteres Leben. Einerseits hatte sie miterlebt, zu welch schlimmen Taten Menschen – sogar Freunde und Bekannte – fähig waren, und andererseits hatte sie auch die andere Seite kennengelernt: Menschen, die auf Hilfe angewiesen waren und sich verzweifelt an ihre Mutter wandten, wohl wissend, dass dies ihr Todesurteil sein konnte. Indem Anna ihrer Familie beistand, das Geheimnis über die Versteckten bewahrte, ihnen Essen brachte und mithalf, sie zu verstecken, widersetzte auch sie sich täglich dem gewaltbereiten, gewalttätigen und menschenverachtenden Regime. Und täglich musste sie damit rechnen, deswegen von ihren Eltern getrennt, verschleppt, in einem Konzentrationslager interniert zu werden und dort den Grausamkeiten von Mitmenschen ausgeliefert zu sein. Zum Glück ging jedoch alles gut. Anna Hackl ist heute stolz auf ihre Eltern, vor allem auf ihre Mutter, denn diese war die treibende Kraft. Sie selbst besucht als Zeitzeugin Schulen und spricht an der Gedenkstätte Mauthausen mit Jugendlichen über ihre Erfahrungen.

Dabei hofft sie, einen kleinen Beitrag dafür zu leisten, dass nie wieder so eine schreckliche Zeit wie die des Nationalsozialismus kommt und dass es nie wieder Konzentrationslager gibt.

© MKÖ: Zivilcourage wirkt – Broschüre

links: Fam. Langthaler mit Delegation d. sowjet. Botschaft / mitte: Fam. Langthaler mit Michail und Nikolai / rechts: Fam. Langthalter mit Michail und Nikolai

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